Empathie – die unterschätzte Führungsqualität in Unternehmen

Wodurch zeichnen sich empathisch veranlagte Unternehmer und Führungskräfte aus – und inwieweit kann ausgeprägtes Mitgefühl einen Schlüssel zu mehr Erfolg darstellen? Diese Frage beschäftigt mich in Zusammenarbeit mit Unternehmern und Führungskräften immer wieder. Ich bin überzeugt, dass Empathie ein wichtiger Indikator der persönlichen Wertschätzung und die Grundlage eines fundierten Miteinanders ist. Viel wichtiger finde ich aber, dass sie für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens ein nicht zu unterschätzender Faktor ist. Denn Menschen durch Einfühlungsvermögen verstehen zu können, ist für den Erfolg des Unternehmens zunehmend eine kritische Komponente. Dies gilt für die Ansprache von potenziellen und bestehenden Kunden, ebenso wie für das Recruiting neuer Mitarbeiter und die Personalentwicklung.

Meine persönliche Erfahrung zeigt, dass es im Zusammenspiel mit Kunden, Mitarbeitern, Geschäftspartnern. Lieferanten etc. ganz erheblich auf die Fähigkeit ankommt, sich dem Anderen zu öffnen. Leider scheinen viele Entscheider heute weniger bereit zu sein, Empathie einzusetzen, obwohl sie dazu durchaus in der Lage wären. Ich vermute, es liegt dabei oftmals das Missverständnis vor, dass Empathie als ein Zeichen von Schwäche wahrgenommen werden könnte. Daraus entstehende Kommunikationsprobleme können bedrohliche Dimensionen annehmen. Doch nur wer echtes Interesse an den Menschen zeigt, kann diese besser überzeugen und motivieren und mit ihnen eine langfristig Erfolgversprechende Beziehung aufbauen. Die gute Nachricht ist: Empathie lässt sich erlernen und steigern.

Über den Perspektivwechsel zum besseren Verständnis für Bedürfnisse
Der wesentliche Vorteil der Empathie besteht darin, einen Perspektivwechsel vollziehen zu können. Den Gesprächspartner mit dessen Wünschen und Bedürfnissen sowie in seinen Handlungsweisen besser verstehen zu können, bildet eine wesentliche Grundlage tragfähiger Vereinbarungen. Besonders deutlich zeigt sich dies im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Trotz der allgemein üblichen Redensart erwirtschaftet nicht das Unternehmen die Gewinne, sondern die Menschen in den Unternehmen. Und: Im Kampf um das beste Personal haben die Kanzleien die Nase vorn, die ihren (potenziellen) Angestellten verdeutlichen können, dass sie als Menschen mit individuellen Entwicklungsperspektiven wahrgenommen werden.

Der Mangel an Fachkräften quer durch die gesamte Wirtschaft und seine Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen ist hinlänglich bekannt. Wir kennen alle mindestens ein Unternehmen, das aufgrund des Personalmangels nicht in der Lage ist, weitere Aufträge anzunehmen. So wird wertvolles Potenzial verschenkt. Außerdem haben namhafte Industriebetriebe damit begonnen, nicht nur vielversprechende, hoch (aus-)gebildete Innovatoren mit kostspieligen Incentive-Programmen in ihre Firmen zu locken, sondern auch Auszubildende. Die Finanzierung eines Führerscheins für den beruflichen Nachwuchs im Lohnsektor scheint in der Automobilindustrie mehr und mehr zum üblichen Schmiermittel des Personalkarussells zu werden.

Motivieren durch individualisierte Ansprache
Dabei zeigt die Erfahrung – und durch wissenschaftliche Untersuchungen belegt – dass nicht-finanzielle Anreize auf Dauer besser geeignet sind, eine stabile Loyalität und Identifikation zu gewährleisten. Dies setze allerdings voraus, dass die Personalverantwortlichen genug Einfühlungsvermögen besitzen, um vom Mitarbeiter zu erfahren, was ihn wirklich bewegt und motiviert, und zwar durch das persönliche Gespräch. Nur der direkte Kontakt ermögliche es, ein Gefühl für bisher unausgesprochene Beweggründe zu entwickeln, das den rationalen Wissensstand aus der Personalakte ergänzt. Frei nach dem Motto: Wer kein Interesse an den Menschen im Unternehmen hat, wird bald keine Menschen mehr im Unternehmen haben.

Weil der Fachkräftemangel durch die demografische Entwicklung noch eine zusätzliche Dynamik erhält, stellt Empathie eine unerlässliche Kernkompetenz mit wachsender Bedeutung dar: Zumal der „War for Talents“ längst voll entbrannt ist, müssen sich Inhaber und Personalverantwortliche auf neue Herausforderungen einstellen, die ein hohes Maß an Fingerspitzengefühl erfordern – bei der Einstellung von Mitarbeitern ebenso wie im täglichen Miteinander.

Persönliche Werte kennenlernen und berücksichtigen
Schließlich gibt es ein verändernden Werteordnung. Ein Großteil der jungen Menschen will nicht das Arbeitsmodell der Eltern übernehmen; sie setzen andere Schwerpunkte. Damit ist nicht gemeint, dass sie weniger leistungsbereit oder unmotiviert wären, eher im Gegenteil. Sie konzentrieren sich aber auf andere Prioritäten wie eine freie Einteilung der Arbeitszeit oder ein kreatives, inspirierendes Umfeld. Die entscheidende Erkenntnis lautet: Junge Menschen wollen als Mitarbeiter nicht ein Teil des ‚Humankapitals‘ sein, sondern als Individuum mit persönlich definierten Zielen und Bedürfnissen behandelt werden.

Selbst wenn zwei Leute denselben Job ausüben, kann es sein, dass ein und dieselbe Ansprache durch den Vorgesetzten dazu führt, dass einer der beiden Mitarbeiter aus Unzufriedenheit das Unternehmen verlässt. Darum wird zukünftig ein Höchstmaß an Individualisierung gefordert sein, indem wir Empathie walten lassen und uns – soweit möglich – auf die einzelne Person einstellen. Hinterfragen wir Lehrbücher, die eine bestimmte Führungsmethode favorisieren, und bedenken wir: Es sind mittlerweile nicht allein die Führungskräfte, die die Führungsmethode vorgeben, sondern die Mitarbeiter selbst.

Eine Strategie, die sich flexibel den Bedürfnissen anpasst, setzt voraus, dass der Perspektivwechsel mit einem echten Interesse am anderen Menschen verbunden ist. So können die Persönlichkeit, die Erfahrungen, die Geschichte und die Stärken in eine Kursbestimmung und eine gemeinsame Zielvereinbarung einfließen.

Empathie vs. Selbstschutz?
Doch wo stößt Empathie an die Grenzen der Sinnhaftigkeit? Gibt es auch ein Übermaß an Mitgefühl? Gerade Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, scheinen im Laufe ihrer Tätigkeit zunehmend unter ihrer Anteilnahme für Patienten oder Pflegebedürftige zu leiden. Psychische Belastungen und physische Folgeerkrankungen werden hier oft als Resultat ins Feld geführt.

Es kommt darauf an, klare Grenzen zu ziehen. Eine notwendige Distanz zu wahren, ist unbedingt nötig. Auch ich kenne das aus meinem eigenen Arbeitsalltag. Die Schicksale der Unternehmer, die ich begleite, sind mir natürlich sehr wichtig. Ich will mit diesen Menschen gemeinsame Wege gehen. Doch ich weiß, dass ich als Coach und Sparringspartner nur Hilfe zur Selbsthilfe leisten kann – die Verantwortung kann und will ich meinem Kunden nicht abnehmen. Sollte ein Kunde beratungsresistent sein, hilft es weder ihm noch mir, wenn ich nachts nicht schlafen kann. Hier stößt Empathie in der Tat an eine Grenze.

Verständnis ist eine Sache, das Akzeptieren bzw. Übernehmen einer Position eine andere.
Im ersten Fall geht es darum, die Beweggründe des Gesprächspartners nachvollziehen zu können. Diese gutzuheißen, ist damit aber noch lange nicht gefordert. Solange dieser Unterschied bewusst bleibt, gilt die Maxime: „Empathie macht das Leben einfacher – gerade für Unternehmer und Führungskräfte!“

Pin It on Pinterest

Share This