Marienbad

Marienbad

Noch einmal schaue ich dankbar zurück

Plötzlich bricht die Sonne durch die Wolken und lässt mich anhalten, noch einmal aussteigen und einen letzten Blick auf das von der Sonne angestrahlte Hotel werfen. Das Hotel, in dem ich die letzten Nächte verbracht habe. Die letzten und viele Nächten in den letzten 12 Jahren. Denn seit 12 Jahren bin ich nicht nur Gast in diesem Hotel. 12 Jahre habe ich auch das Unternehmerehepaar dieses Hotels begleitet. Mit unseren Gesprächen, in denen wir immer wieder darüber gesprochen haben, wie es weitergeht, damit es weitergeht. Doch jetzt ist es an der Zeit, einen anderen Weg zu gehen.

Viele Gäste haben sich heute verabschiedet. Mit Tränen in den Augen, weil sie wissen, dass sie nach vielen Jahren - teils Jahrzehnten, nicht mehr in dieses Hotel kommen und nicht mehr mit den Inhabern sprechen, nicht mehr diese familiäre und ungewöhnlich herzliche Atmosphäre genießen werden, weil das Hotel bald schließen wird.

Auch ich habe mich vor wenigen Minuten verabschiedet, habe den Chef des Hauses noch einmal durch den langen Flur auf mich zukommen sehen. Wie vor 12 Jahren, als ich das erst Mal das Haus betrat und von einer Mitarbeiterin nicht nur mit einem Lächeln, sondern auch mit meinem Namen begrüßt wurde, obwohl sie mich nicht kannte.  Der Inhaber kam mit großen Schritten auf mich zu und rief von weitem schon „Grüß Gott Herr Hagen“.  Schnell spürte ich, dass dies keine aufgesetzte Begrüßung, sondern eine besondere Herzlichkeit, Lebensfreude und ein besonderes Merkmal dieses Hauses war.

Dass das Unternehmen auch besondere wirtschaftliche Probleme hatte, erfuhr ich erst im Laufe des Gesprächs. Es war sicher nicht das modernste Hotel, aber bei der Besichtigung lernte ich schnell den ursprünglichen und traditionellen Charme des Hauses kennen. Und dann die Bilanzen mit ungewöhnlich hohen Belegungszahlen. „Sie haben kein Umsatzproblem. Sie haben ein Bankproblem“, war meine spontane Reaktion, als ich mir einen Überblick über die wirtschaftliche Situation verschafft hatte. Und es war der Satz, an den die Eigentümer sich gerade bei unserer Verabschiedung erinnerten. Was mich an die riskante und von der damaligen Hausbank vorgeschlagenen Finanzierung erinnerte, die nicht nur rechtlich bedenklich, sondern auch wirtschaftlich nicht tragfähig war. Weshalb die Kündigung der bestehenden Darlehen und die Schließung des Hotels drohte. Vielleicht, weil die Bank es wollte. Die Schließung und das Grundstück.

Seit diesem Gespräch ist viel passiert, viel miteinander gesprochen und noch viel mehr mit Leidenschaft und Kraft umgesetzt worden. Von den Inhabern, der Familie und dem gesamten Team. Mit Erfolg. Doch leicht war es nie. Sechs Tage die Woche, zwölf Stunden am Tag. Mindestens. 40 Jahre im Betrieb. In dritter Generation. Selten im Urlaub, wenn überhaupt. Renovieren, sanieren und investieren und dabei den besonderen Charakter des Hauses bewahren. Immer wieder. Das Haus und die Gäste kamen nie zur kurz. Die Familie, das eigene Leben sehr oft. 

Bis zur Pandemie. Plötzlich war es still. Alles war anders. Es gab Zeit für die Familie und die Ruhe zum Nachdenken. Über die Zukunft, über die Nachfolge über die plötzliche Krankheit, die wie die Pandemie wieder ging, aber Spuren hinterließ. Eine Zeit, die vieles verändert hat. Bei den Inhabern, dem Team und den geplanten Nachfolgern. Die Gäste kamen wieder. Mehr denn je. Die Kraft der Eheleute und der Familie nicht.

So entstand die Entscheidung, verbunden mit emotionalen Höhen und Tiefen und vielen Tränen. Und mit der Erkenntnis, dass Sie jetzt noch die physische und wirtschaftliche Kraft haben, den Betrieb zu schließen. Weil Sie es können. Nicht weil Sie es müssen. Nicht, weil die Bank es will, oder die Gäste das Hotel nicht mehr wollen. Sondern weil Sie wissen, dass es jetzt an der Zeit ist, andere Wege zu gehen.

Die Sonne lächelt zum Abschied und ich lächle, als ich an den Abschied denken. Bei dem wir uns umarmt und versprochen haben, uns wiederzusehen und zu sprechen. In den Wochen bis zur endgültigen Schließung des Betriebs. Und auch darüber hinaus. Ich steige ins Auto, fahre nach Hause und denke an die vielen gemeinsamen Jahre, an die vielen Gespräche über die vielen Gedanken, Ideen und Themen. Und mir wird klar, dass ich in dieser Zeit viel von dem Unternehmerehepaar gelernt habe, über Charakter, Lebensfreude und über mich.

Noch einmal schaue ich dankbar zurück und genieße den letzten Blick. 

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