Manchmal fällt das Aufstehen schwer

Manchmal fällt das Aufstehen schwer

Das Aufstehen fällt mir schwer. An die Schritte nach vorne, zum Pult,
an die erinnere ich mich nicht mehr.

Nur daran, dass ich mit zitternder Hand den Text aus der Jackentasche ziehe. Den Text, über den ich tagelang nachgedacht, den ich erst wenigen Stunden zuvor geschrieben habe und den ich jetzt vorlesen werde. Sonst spreche ich frei. Heute nicht. Heute halte ich mich fest, an dem Text und an der Absicht, einen Wunsch zu erfüllen.

10 Minuten. Mehr Zeit habe ich nicht. Und nachdem ich lange mit mir gerungen und mich dann doch entschieden habe, doch heute zu sprechen, frage ich mich, wie ein Leben in 10 Minuten passen soll. Weil so viel passiert in einem Leben. Weil das Leben zu voll ist für 10 Minuten.

Und so beginne ich mit brüchiger Stimme vom Leben zu erzählen. Von der Bescheidenheit, die aus der Kindheit ins Leben mitgenommen und der Fürsorge, die in andere Leben weitergegeben wurde. Von der Disziplin und der Grundbockigkeit, die in unseren Leben weitergelebt und von dem wertschätzenden Humor, mit dem man oft über sich selbst, aber nie über andere gelacht wurde. Vor allem von der Dankbarkeit, die im Leben gefunden und die heute von uns empfunden wird. So spreche ich von Geschichten und Erlebnissen, die die Leben verbinden und die sich schnell finden, als wir vor Tagen darüber sprachen. Über die wir jetzt lachen. Und weinen. Weil die Erinnerung schmerzhaft, im Bewusstsein jetzt endlich ist.

Oft atme ich tief ein, schaue in Gesichter und sehe die Leben, die das Leben begleitet haben, die so wichtig für das Leben waren. Dann sage ich Danke und verneige mich, nehme den Text und gehe die Schritte zurück. Noch nie fiel mir das Sprechen so schwer. Das Hinsetzen jetzt nicht mehr. Denn ich spüre, dass es meinem Vater wichtig war, seinen Wunsch zu erfüllen und dass es für mich richtig war, bei dem Abschied meiner Mutter zu sprechen.

Ihr Stefan Hagen

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